Worte finden
Von P. Ingo Krause, Warmsen
Es ist nicht immer einfach, die richtigen Worte zu finden! Wenn es mir so ergeht, dass mir nichts Passendes in den Sinn kommt, greife ich gerne zur Bibel und finde mich dann in den Worten der Psalmen oder in den Gleichnisworten Jesu aufgehoben. Mal sind es Worte des Trostes, mal Worte der Ermutigung, die mich dann ansprechen. Und ich denke, gut, dass ich nicht alles neu erfinden muss, sondern mich in den dort beschriebenen Erfahrungen und Bildern wiederfinden kann.
Es ist nicht immer einfach, die richtigen Worte zu finden! Diese Erfahrung musste in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Constantin von Tischendorf machen. Zeit seines Lebens war der Theologe auf der Suche nach antiken Bibelhandschriften, um der Theologiewissenschaft ein Griechische Ausgabe des Neuen Testaments zur Verfügung zu stellen, das auf den ältesten erhaltenen Handschriften basierte. Unter anderem forschte Tischendorf in Italien, Großbritannien und in Frankreich. Am erfolgreichsten waren jedoch seine Expeditionen in den Nahen Osten. Im griechisch-orthodoxen Katharinenkloster auf der Sinai-Halbinsel wurde er besonders fündig. Dieses gehört zu den ältesten Klöstern der Welt und enthält die wohl älteste erhaltene christliche Bibliothek. An die sechstausend Handschriften in verschiedensten alten Sprachen, davon dreitausend aus der Antike werden dort aufbewahrt. Bei seinem Besuch im Februar 1849 machte Tischendorf die Entdeckung, die die Bibelwissenschaft revolutionierte.
Im Papierkorb, der Legende zufolge bereits zum Verbrennen bestimmt, entdeckte er 129 Blätter einer griechischen Handschrift auf feinem Pergament, die aus der Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus stammt, und in Großbuchstaben geschrieben war. „Quippe dormire nefas videbatur – es wäre wirklich ein Unrecht gewesen zu schlafen!“ schrieb er in sein Tagesbuch vom 7.Februar 1849. Die ganze Nacht hindurch studierte er die Blätter und stellte fest, dass es sich um Teile des Alten Testaments, und alle 27 Bücher des Neuen Testaments handelte, dazu noch andere Texte.
Zwei weitere Male reiste Tischendorf zu weiteren Forschungen in das Kloster auf dem Sinai und bewegte die Mönche, die Papiere zur Veröffentlichung mitzugeben.
Die Entzifferung und Editierung der Handschrift war sehr mühsam, da sie weder in Kapitel und Verse unterteilt war noch Satzzeichen erhielt. Erst 1862 konnte Tischendorf dann zum 1000. Jubiläum der russischen Monarchie den nach seinem Fundort benannten Codex Sinaiticus in einer prachtvollen vierbändigen Faksimileausgabe überreichen.
Es ist nicht immer einfach, die richtigen Worte zu finden! Dank des Fundes des Constantin von Tischendorf und seiner Forschungen steht nun für die Wissenschaft das Neue Testament mit einem ausführlichen Textapparat zur Verfügung. Gut, dass ich nicht wie er ein ganzer Forscherleben verbringen muss, um die richtigen Worte zu finden. Ich brauche nur meine Bibel aufschlagen, sie ist ein Schatzkästchen, das mir hilft, die richtigen Lebensworte zu finden.
Ihr
Ingo Krause, P.