Wo wohnt Gott ?
Von Dr. Michaela Veit-Engelmann, Dozentin am RPI Loccum
Liebe Leserinnen und Leser,
seit Jahren fragen sich Gemeinden, wie sie wieder mehr Menschen in die Gottesdienste bekommen. Und nun dies: Die meisten Kirchen sind geschlossen, bleiben selbst am Sonntag zu. Wie bitter. Tatsächlich sind die Kirchen in den Dörfern und Städten für viele Menschen besondere Orte. Viele verbinden gerade mit „ihren“ Kirchen außergewöhnliche Momente: Eine Hochzeit, Taufen im Familien- und Freundeskreis und sicher auch Abschiede. An welche Gottesdienste erinnern Sie sich gerne? Die Christvesper an Heiligabend oder die Auferstehungsandacht am Ostersonntag? Vielleicht hat eine besondere Musik Sie angerührt oder ein Gedanke, den Sie dort gehört haben? In jedem Fall ist es so: Die eigene Kirche möchte man nicht missen! Menschen gehen in Kirchen, weil sie sich dort zuhause fühlen, weil sie Zwiesprache halten und Gottesdienst feiern können.
Und nun soll das für einige Wochen nicht möglich sein? Nein, tatsächlich nicht. Nicht einmal die Ostergottesdienste können in der gewohnten Art und Weise stattfinden. Wie deprimierend. Aber: Neue Formen von Gottesdiensten werden erprobt – man kann übers Internet mitfeiern, vor dem Fernseher Abendmahl halten oder per Telefon an einem Gottesdienst teilhaben. Ich bin begeistert davon, wie viele kreative Ideen nun entstehen, um im gemeinsamen Glauben auch dann verbunden zu sein, wenn die Kirchen geschlossen sind.
Denn die Frage ist: Wo begegnet uns Gott? Wohnt er wirklich in unseren Kirchen? An Jesu Leben lässt sich erkennen: Gott hat nirgendwo auf der Welt ein Zuhause, sondern er ist überall. Jesus selbst war unermüdlich unterwegs, zu den Menschen und mit den Menschen. Vom Himmel herab in die Tiefen der Welt. Zu den Armen und Bedürftigen, zu den Kranken, den Bedrückten und den Einsamen. Zu uns allen.
Um Gott zu begegnen, brauche ich keine Kirche. Denn Gott kann mir überall nahe kommen: In der Lesepredigt, die beim Bäcker ausgedruckt zum Mitnehmen ausliegt, in einem besonderen Moment der Begegnung (mit Abstand), beim Singen eines Chorals, den ich zwar alleine singe, von dem ich aber weiß, dass andere ihn teilen. In all diesen Momenten kann etwas Göttliches drinstecken.
Schon aus dem Mittelalter stammt die folgende Geschichte: „Als Rabbi Joshua Meir ein kleiner Junge war, sagte ihm jemand: «Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.» Er antwortete: «Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.»“
Lassen Sie sich überraschen, wo Ihnen überall Gott begegnen kann.
Das wünscht Ihnen in diesen besonderen Zeiten
Ihre
Dr. Michaela Veit-Engelmann