„Halt´s Maul, jetzt kommt der Segen!“
Von P. Ingo Krause, Warmsen
Mit diesem ungewöhnlichen Titel hat die Religionslehrerin Inger Hermann Alltagserfahrungen von Jugendlichen gesammelt und sich deren existentiellen Grundfragen nach dem Sinn des Lebens, nach Liebe, Gott und Tod mit Erfahrungen der Bibel angenähert. Beim Lesen dieser berührenden Begegnungen wird mir bewusst, wie befremdend viele unserer sonntäglichen Gottesdienste mit ihren meist von Orgelmusik begleiteten jahrhundertealten Chorälen auf Jugendliche wirken müssen. Natürlich gibt es zahlreiche Gegenbeispiele von modern gestalteten Gottesdiensten mit zeitgemäßem Liedgut, das häufig sogar von einer Kirchband eingespielt wird. Die Erfahrung aus vielen Jugendgottesdiensten und Kirchentagen zeigt, dass Jugendliche keineswegs gottesdienstresistent sind. Sie möchten nur einbezogen sein, bestenfalls sogar beteiligt werden. Und dies gilt nicht nur für Jugendliche.
Dieses Anliegen findet sich bereits bei dem Apostel Paulus, der in seinem Brief an die Römer zum vernünftigen Gottesdienst aufruft. Eine interessante Forderung, denn Gottesdienst bezeichnete zur damaligen Zeit vor allem den kultischen Vollzug von Opfern und Gebeten. „Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes bitte ich euch: Stellt euer ganzes Leben Gott zu Verfügung. Es soll wie ein lebendiges und heiliges Opfer sein, das ihm gefällt. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ (Röm12,1)
Für den Apostel wird der Gottesdienst vernünftig, wenn er nicht nur als die sonntägliche Stunde in der Kirche verstanden wird. Das Leben selbst soll zum Dienst an Gott werden, indem Barmherzigkeit gelebt und ausgeübt wird.
Somit knüpft der Apostel mit seiner Forderung nach dem vernünftigen Gottesdienst inhaltlich an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter an. In diesem erzählt Jesus Christus von einem Menschen, der von Räubern halbtot geschlagen worden ist. Auf dem Weg zu ihren gottesdienstlichen Verpflichtungen gehen ein Priester und ein Levit an dem Hilflosen vorüber ohne ihm zu helfen. Ein Andersgläubiger nimmt sich des Opfers an und versorgt ihn. Die Barmherzigkeit Gottes wird durch das Handeln dieses Samariters erfahrbar.
Gottesdienst ist demnach nicht die Stunde am Sonntag in der Kirche, er umfasst das ganze Leben. Gottesdienst bezeichnet jeden Lebensabschnitt, in dem Gottes Barmherzigkeit erfahrbar und weiter gegeben wird.
Feiern, loben und beten, schweigen, singen und zuhören, achtsam und hilfsbereit sein, andere unterstützen, Einsamkeit aufbrechen, Versöhnung ermöglichen, zum Leben ermutigen, - all das macht den vernünftigen Gottesdienst aus.
Die Stunde am Sonntag ist dafür die Quelle, die Kraft und Segen spendet für all die Herausforderungen, die an 24 Stunden, 7 Tage die Woche vor uns liegen.
Und ich bin allen zutiefst dankbar, die in ihren Gemeinden und Gemeinschaften mit gut durchdachten Hygienekonzepten und vielfältigen Angeboten wie Stationengottesdienste, Freiluftgottesdienste, Online-angebote und Mailing-Aktionen den Zugang zu dieser Quelle auch in Corona-Zeiten ermöglichen.
Ihr
Ingo Krause, P.