Angedacht von Pastorin Dr. Michaela Veit-Engelmann

Nachricht 08. August 2020

Der letzte Schultag!

Von Pastorin Dr. Michaela Veit-Engelmann, Religionspädagogisches Institut Loccum

Stolz kam meine Tochter am letzten Schultag mit ihrem Zeugnis nach Hause. Und das zu Recht, wie ich fand. Lauter super Noten, nur eine einzige 3 in Sport; das hat sie dann wohl von mir. Wir setzten uns an den Tisch und meine Tochter erzählte. Vom letzten Schultag an der Grundschule, vom Abschluss in diesen besonderen Zeiten, vom Abschied von den Freundinnen und auch von denen, die ihr auf die Nerven gegangen sind und die sie trotzdem vermissen wird. Doch beinahe unmerklich wechselte das Thema: Meine Tochter begann von den Zeugnissen ihrer Mitschüler zu berichten, deren Notendurchschnitt sie genauso gut zu kennen schien wie den eigenen. Ich erfuhr, wer wie viele Einsen hat, wer in Sport besser war als sie und wer bessere Bemerkungen im Arbeits- und Sozialverhalten hatte. Und plötzlich ging es nicht mehr um den Stolz auf die eigenen Noten, sondern um den Neid auf andere. Auf einmal war nicht mehr wichtig, was sie geschafft hatte, sondern wo sie nicht das erreicht hatte, was den Mitschülern gelungen war. Die Stimmung am Tisch kippte.

Meine Tochter ist zehn Jahre alt. Ich hätte ihr gewünscht, dass sie sich den kindlichen Stolz auf sich selbst noch etwas bewahrt. Denn dass das mit der Pubertät verschwindet, ahne ich. Schade, dass es jetzt schon so weit ist… Ich gerate ins Grübeln: Habe ich in der Erziehung meiner Tochter einen Fehler gemacht, weil sie sich sofort mit anderen vergleicht? Oder fördert das System Schule den Konkurrenzdruck, anstatt gegenzusteuern? Das wäre eine allzu bequeme Erklärung, die mich als Mutter von der Verantwortung freisprechen würde. Doch die Frage bleibt: Wieso neigen Menschen dazu, nicht die Leistungen zu sehen, sondern schielen fast reflexartig auf die eigenen Defizite?

Wie gut, dass der Monatsspruch für August mich daran erinnert, dass mein Leben viel mehr ist als die Summe aus dem, was ich leiste, und aus dem, was ich vielleicht nicht kann. „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“, so brachte es der Dichter von Psalm 139 vor mehr als 2000 Jahren auf den Punkt. Die Sommerferien sind die beste Gelegenheit, sich das vor Augen zu führen: Ich bin ein unverwechselbares Geschöpf Gottes. Vielleicht mit Ecken und Kanten, ganz bestimmt mit Hoch- und Tiefpunkten – aber ganz sicher wunderbar von Gott geschaffen. Ich wünsche meiner Tochter, dass sie dieses Gefühl durch die Ferien und beim Schulstart begleitet: Sie ist wunderbar gemacht – völlig egal, was auf dem Zeugnis steht.

Diese Gewissheit, die wünsche ich nicht nur meiner Tochter, sondern allen Kindern Gottes!

Ihre

Dr. Michaela Veit-Engelmann

 

 

Kontakt

Dr. Michaela Veit-Engelmann
Uhlhornweg 10-12
31547 Rehburg-Loccum
Tel.: 05766 81 138